Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat
Am Ende war die Tat

"Am Ende war die Tat", Elizabeth George, 2008, Weltbild

 

 

Zweifellos hat es Elizabeth George besonders am Herzen gelegen, diese Geschichte zu erzählen: Im Mittelpunkt steht der zwölfjährig Mischlings-Junge Joel Campbell, der mit seinen Geschwistern Vanessa und Toby in einer sozial schwachen Wohngegend Londons lebt. Die Kinder stammen aus schwierigen Familienverhältnissen und werden von ihrer Tante aufgezogen, die, trotz bester Absichten, von dieser Aufgabe hoffnungslos überfordert ist: Kendra ist zu sehr auf ihre eigenen Angelegenheiten und ihre Karriere konzentriert, um sich adäquat um die drei Kinder kümmern zu können. So kommt es, dass Vanessa, Joel und Toby sehr schnell in die Fänge einer Straßengang geraten. Jeder der drei bekommt auf seine Weise Schwierigkeiten mit dieser Gruppe von gewaltbereiten Jugendlichen. Joel fühlt sich für seine Familienmitglieder verantwortlich. Um sie zu schützen, sieht er keine andere Möglichkeit, als sich mit dem Kleinganoven „The Blade“ einzulassen, der das Stadtviertel kontrolliert. Joel gerät in Abhängigkeit von „The Blade“, und seine Solidaritätsbekundungen für den Kriminellen gipfeln schließlich in Mord. Zu spät erkennt Joel, dass ihn „The Blade“ verraten hat: Die Straftaten, zu welchen Joel sich hinreißen hat lassen, haben ihr Ziel, nämlich, seine Familie zu schützen, völlig verfehlt.

 

Elizabeth George erzählt die Geschichte einer Familie, die wegen ihrer Herkunft und ihrer zahlreichen Schwierigkeiten keinerlei Chance hat, sich aus ihren kläglichen Lebensverhältnissen herauszuarbeiten. Alle Familienmitglieder sind extrem mit Problemen beladen; nicht nur, dass sie sich mit den üblichen Diskriminierungen wegen ihrer Herkunft herumschlagen müssen. Die Familienchronik ist mit Mangel an Verantwortungsbewusstsein, Drogensucht, psychischen Erkrankungen und sexuellem Missbrauch belastet. Obwohl diese Anhäufung von Schwierigkeiten innerhalb einer Familie übertrieben wirkt, ist es durchaus realistisch, dass so schwere Schicksale tatsächlich vorkommen. Die bedrückende Perspektivlosigkeit der Campbells hat Elizabeth George jedenfalls eindrucksvoll herausgearbeitet. Dabei gibt es in der Geschichte durchaus eine ganze Anzahl von Erwachsenen, die den drei Kindern helfen wollen: Alle scheitern jedoch kläglich in ihren Bemühungen. Und immer wieder liegt es an dem fehlenden Verständnis für die Kinder. Elizabeth Georges Hauptfigur Joel ist ein anständiger und verantwortungsbewusster Junge, der sich größte Mühe gibt, alles richtig zu machen. Letztendlich scheitert er an den feindseligen Bedingungen seiner Umwelt und daran, dass er mit seinen zwölf Jahren nicht die Verantwortung eines Erwachsenen tragen kann. Alle Sympathien des Lesers gehören Joel; man leidet mit ihm, während sein Leben und das seiner Angehörigen mehr und mehr aus dem Ruder läuft. Die Autorin beschreibt diese allmähliche Eskalation meisterhaft, wenn auch in gewohnt ermüdender Ausführlichkeit. Die Tragödie erinnert in ihrer Sozialkritik unübersehbar an Werke von Charles Dickens. Im Schlusssatz legt die Autorin Joel den resignierenden Gedanken in den Mund, dass sich unsere Gesellschaft nie ändern wird. Mit dieser Einschätzung dürfte er leider richtig liegen: Ganze Bibliotheken voll sozialkritischen Romanen könnten geschrieben werden, und trotzdem wird die Menschheit sich selbst treu bleiben.